Das vergrabene Kamel von Bielefeld

Etienne Légat
Etienne Légat
April 6, 2025
5 min Lesezeit

Öffentliche Kunst ist ein fester Bestandteil des modernen Stadtbildes. Sie begleitet uns auf dem Weg zur Arbeit, schmückt Plätze und Grünanlagen oder überrascht uns in versteckten Ecken der Stadt. Ob imposante Skulpturen, abstrakte Metallobjekte oder historische Denkmäler – oft übersehen wir die Kunstwerke, die uns im Alltag umgeben. So auch in Bielefeld, wo sich an verschiedenen Orten spannende und teils sehr skurille Kunstinstallationen entdecken lassen.

Ist das Kunst oder kann das weg?

Ein besonders bemerkenswerter Ort in dieser Hinsicht ist der Skulpturenpark Bielefeld. Eingebettet in die grüne Kulisse vor dem Ratsgymnasium am Nebelswall, bietet dieser Park eine beeindruckende Sammlung zeitgenössischer Skulpturen renommierter Künstler. Die Werke sind harmonisch in die Landschaft integriert und laden zum Innehalten, Betrachten und Nachdenken ein. Die ausgestellten Skulpturen sind vielfältig in ihrer Formensprache und Materialität: Von massiven Steinblöcken über filigrane Metallkonstruktionen bis hin zu spielerisch anmutenden Installationen spiegelt sich hier die Bandbreite moderner Kunst wider. Dabei greifen die Werke unterschiedliche Themen auf – manche erzählen von historischen Bezügen, andere spielen mit der Wahrnehmung des Betrachters oder regen zum Dialog an.
Doch genau hier liegt auch die Herausforderung: Viele Kunstwerke im öffentlichen Raum gehen in der alltäglichen Wahrnehmung unter. Passanten eilen an ihnen vorbei, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Der Satz „Ist das Kunst oder kann das weg?“, geprägt durch den Kunsthistoriker Christian Saehrendt, trifft hier den Nerv der Sache. Wie oft nehmen wir Skulpturen, Wandbilder oder andere Kunstformen gar nicht mehr bewusst wahr, obwohl sie unser Stadtbild entscheidend prägen?

Grüne Ergänzung zur Kunsthalle

Seinerzeit war der Amerikaner Philip Johnson einer der berühmtesten Architekten und galt als Mitbegründer der Postmoderne. Welch eine Ehre also, dass dieser Star-Baukünstler sich 1968 dem Entwurf der Bielefelder Kunsthalle widmete, die von Rudolf August Oetker gestiftet worden war. Johnson entwarf aber nicht nur das Gebäude aus rotem Sandstein, sondern auch den dazugehörigen Skulpturenpark. Letzterer wurde jedoch nicht mit dem Museum realisiert, stattdessen wurde eine Grünanlage mit Wasserbecken geschaffen.

Entspannend und inspirierend zugleich: der Skulpturenpark der Kunsthalle Bielefeld

Zum 40. Geburtstag der Kunsthalle im Jahre 2008 wurde Johnsons Entwurf dann doch noch umgesetzt. Die Bielefelder Mäzenin Dorothea Winkler, aus der Familie der Manufaktur für Polstermöbel vom Hans Kaufeld stammend, finanzierte die Umgestaltung der Grünanlage. So sollte die für Bielefeld wichtige Kunsthalle weiter aufgewertet und für die Bürger ein Park mit hoher Aufenthaltsqualität geschaffen werden. Das ist zweifelsfrei gelungen.
Inmitten der Altstadt gibt es nun einen Ort, an dem man beruhigendes Grün und anregende Kunst auf sich wirken lassen kann. Auf der Terrasse des Museumscafés leicht erhöht sitzend, hat man einen schönen Blick auf den gesamten Park. Wer sich auf der Wiese niederlässt, kann die Augen über die nun etwas schmalere und elegantere Wasserfläche zur zeitlos schönen Kunsthalle schweifen lassen. Aber Vorsicht! - Nicht überall auf der Wiese sollte man so ohne Weiteres platznehmen!

In Bielefeld liegt nicht der Hund begraben!

Das fraglos unzugänglichste Ausstellungstück ist Not Vitals unterirdische Arbeit „Junges Kamel, der Erde übergeben“. 2005 hatte die Kunsthalle dem Bildhauer eine Ausstellung gewidmet, die sich um dessen künstlerisches und soziales Engagement in der Wüstenstadt Agadez in Niger drehte. Dort entwarf er gemeinsam mit einheimischen Tuareg Gebäude und Objekte. Skulpturen, Fotografien und Modelle gaben Einblicke in seine Tätigkeit. Zur Ausstellung gehörten auch fünfzehn Keramikkugeln, die Überreste eines geschlachteten, in der Sonne getrockneten Kamels enthielten. Dazu passend ließ Vital im Park der Kunsthalle ein ausgestopftes Babykamel vergraben. Eine kleine Informationstafel auf dem Rasen verweist auf die damalige Ausstellung und die ungewöhnliche Begleitaktion.

Im Kunsthallenpark in Bielefeld verrottet unter der Erde ein echtes, aber totes Kamel.

Man muss schon eine Weile suchen, bis man die bronzene Plakette mit dem Hinweis findet. Und selbst dann findet das Kunstwerk doch hauptsächlich im Kopf statt, wenn man sich vorstellt, wie das dreimonatige, ausgestopfte Kamel unter der Erde verrottet. Die erst einmal seltsam wirkende Idee der feierlichen Bestattung wird als Teil des Kreislaufes von Werden und Vergehen verständlich. Not Vitals Bildhauerei ist vom Staunen über das Leben erfüllt. Jedes seiner Werke wirft aber auch Rätsel auf: Können wir alles glauben, was wir sehen? Ein Kamel sehen wir ja zumindest nicht.
Der Schweizer Künstler war ab den späten 1980er Jahren regelmäßig in Afrika. Dort erlebte er das Leben und Sterben der Kamele in einem Schlachthof hautnah. Seit dieser Zeit ist das Wüstentier mit dem Höcker ein wichtiges Symbol seiner sehr symbolhaften Kunst und gehört heute wohl zu den schrägsten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Nicht weniger skurril ging es hinter den Kulissen zu: Für das Kamel und die Hilfe bei seinem Projekt bekamen die Tuareg eine Tonne Spaghetti vom Künstler als „Dankeschön“.

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