Ein versteckter Totentanz - mitten in Osnabrück

Maria Elisabeth Doerk
Maria Elisabeth Doerk
April 6, 2025
5 min Lesezeit

Gut sichtbar, doch leicht zu übersehen, steht neben der Johanniskirche in Osnabrück eine Abluftsäule. Viele sind schon hunderte Male daran vorbeigelaufen, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Doch ein näherer Blick lohnt sich und offenbart so manches Wissenswerte! Wusstest Du, dass es sich hierbei eigentlich um einen modernen Totentanz handelt?

Toiletten für die Trauernden

Erbaut wurde die Säule im Jahr 1931, um die Belüftung der unterirdischen Toiletten zu gewährleisten. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle seitdem im Mittelalter nämlich der Friedhof, später dann der Kirchhof von St. Johann. Doch von vorn:
Offenbar war es notwendig, auf dem Kirchhof eine öffentliche Toilette zu errichten. Den ersten Bau aus dem 19. Jahrhundert, oberirdisch und aus Blech, fand man in den 1920ern anstößig. So wurde eine unterirdische Toilettenanlage gebaut. Doch ohne genügende Belüftung war das keine saubere Sache. Eine Abluftsäule in Form einer Litfaßsäule wurde erwogen. Zunächst gab es die Idee, diese Säule mit Plakaten zu bestücken. Doch Werbung, mitten auf dem Kirchhof? Das war undenkbar und noch anstößiger als die alte Toilettenanlage aus Blech! Da die Form einer Säule aber offenbar gut geeignet war, entschied man sich, eine Säule zu errichten, die „die geschäftig vorübereilende Menschen zum Verweilen aufforderte und zur Besinnlichkeit anregte; sie sollte durchaus auch Humor zeigen.“ So beschreibt es Hermann Poppe-Marquard, Leiter des Kulturamtes und des Verkehrsamtes der Stadt Osnabrück in seinem 1983 erschienenen Artikel über die Entlüftungssäule.

Von der Toilettenbelüftung zur Kunstsäule

Doch wie um Himmels Willen kann eine Säule zur Besinnlichkeit anregen? – Durch eine Bildsprache, die jeder versteht! Entworfen durch den rheinischen Architekten Theo Burlage und gefertigt von Wolfdietrich Stein, besteht die Säule aus Tonreliefplatten und Tonfiguren. Die im naiven Stil gestalteten Motive weisen als Bilder auf bekannte deutsche Sprichworte hin. So z.B. „Pass auf, dass du nicht unter die Räder kommst!“

„Pass auf, dass du nicht unter die Räder kommst!“

Das Sprichwort „unter die Räder kommen“ bedeutet, dass jemand in eine schwierige oder ausweglose Lage gerät, oft durch äußere Umstände, gegen die er sich nicht wehren kann. Ursprünglich stammt die Redewendung aus der Zeit, als Fuhrwerke mit schweren Wagenrädern über unwegsame Straßen fuhren. Wer stolperte oder zu Fall kam, konnte tatsächlich von den Rädern überrollt werden – mit fatalen Folgen.
Andere Sprichworte, die sich an der Säule wiederfinden lassen, sind z.B. „Den Karren aus dem Dreck ziehen“ oder „Jeder kehre vor seiner eigenen Tür“, „An dem Ast sägen, auf dem man sitzt“ oder „Der Himmel hängt voller Geigen“. Letzteres beschreibt einen Zustand großer Freude, Glückseligkeit oder Verliebtheit. Wer diesen Ausdruck verwendet, möchte sagen, dass alles im Leben gerade wunderbar ist und man sich wie im Paradies fühlt.

„Der Himmel hängt voller Geigen!“

Die Platten am Säulenschaft zeigen neben diversen Sprichworten aber auch Tiere und Alltagsszenen wie etwa eine Frau mit Handtasche und aufgespanntem Schirm oder einen Mann, der einem auf der anderen Seite eines Zauns stehenden Jungen mit der erhobenen Hand droht. Es finden sich unzählige kuriose Szenen und Situationen wieder, die uns als Betrachter an unsere menschlichen Eigenheiten erinnern soll - wie eine riesige Karikatur aus Tontafeln. Neben dieser sehr unterhaltsamen Seite hat die Säule daher auch ein ernstes Anliegen. Durch das doppelläufige Schriftband im obersten Teil der Säule teilt sie den Vorbeieilenden folgendes mit:

„Der Tod frisst alle Menschenkind’, fragt nicht wes Stand und Ehr’ sie sind. Der Tod fragt nicht nach Zeit, würgt alt’ und junge Leut’ “.

Zwischen den beiden Teilen des Schriftbandes stehen Plastiken: der Tod sowie junge und alte Menschen, die jederzeit aus dem Leben gerissen werden können. Was hat das zu bedeuten?Schauen wir auf den Ort, wo sich die Säule befindet, wird die Botschaft sofort klar: Es handelt sich um eine Aufforderung zum bewussten Leben, was heute aktueller ist als je zuvor. Früher nannte man diesen Weckruf „Memento mori“, auf Deutsch: „Bedenke, dass du sterben musst.“ Dieser oberste Teil der Säule ist also ein Totentanz. Denn genau dazu, die eigene Sterblichkeit ins Gedächtnis zu rufen, diente diese Darstellungsform.
Die Symbolik des ‚Totentanz kam Mitte des 14. Jahrhunderts auf. Meist schmückten Totentänze als Reliefs oder Gemälde Kirchen und auch Friedhofsmauern. Totentänze zeigten bildlich, dass der Tod jeden Menschen, egal welchen Standes, Alters oder Geschlechts, früher oder später zu sich holt. Dabei waren die Totentänze selten zu ernst, denn ihre Darstellungen muteten oft skurril an. Dargestellt waren häufig Skelette mit Instrumenten, die zum Tanz aufspielten - der letzte Tanz für all diejenigen, die sie mit ihrer Aufforderung zu folgen, beglückten. Die Aufforderung, das Leben zu genießen, ist auch heute noch ratsam.

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